Ich habe einen Kunden, den man als “Plattenlabel” bezeichnen könnte. Mit eigenem Aufnahmestudio und CD-Produktion und so. Der dortige EDV-Leiter ist ein langjähriger Weggefährte von mir und erzählte kürzlich davon, daß seine Firma im Moment in den Online-Vertrieb von Musik einsteigt. Unter anderem, und das müßte mich doch freuen, würden die Titel auch als DRM-freie MP3-Dateien angeboten.
Kaum hat er’s gesprochen, kommt tags darauf Steve Jobs mit einem mysteriösen Essay daher und schlägt vor, daß man doch zukünftig besser ganz auf DRM verzichten sollte.
Die Welt ist aus dem Häuschen ob dieser geradezu revolutionären Ansichten. Das tückische an Steves “Thoughts on Music” ist jedoch, daß er mit keinem Wort erwähnt, welche Alternativen es denn geben könnte.
Mein Kunde ist im Gegensatz zu Steve schon einen Schritt weiter: Er läßt seine MP3-Dateien mit Wasserzeichen vermarkten.
Steve sagt: “Der Kopierschutz wird ohnehin geknackt, die CD wird ohnehin gerippt, also können wir uns den Aufwand doch sparen.” Ich hingegen denke, daß man ein vollkommener Narr sein muß, um dieser Argumentation zu folgen. Er verzichtet ja noch nicht einmal darauf, dem Kopierschutzknacker unmittelbar den “Diebstahl” von Musik zu unterstellen, so wie das auf jeder iPod-Verpackung getan wird. Er muß andere Methoden zum Schutz der Rechteinhaber in der Hinterhand haben. Und dabei kann es sich ausschließlich um Wasserzeichen handeln.
Meine Auffassung zu DRM-freien, mit Wasserzeichen versehenen Dateien, ist jedoch vollkommen klar. Sie läuft vermutlich der Meinung von 99% aller Internetnutzer zuwider. Sie lautet:
Wasserzeichen sind das schrecklichste, was einem als (Online-)Musikkäufer widerfahren kann.
Warum? Ganz einfach. Wasserzeichen werden ganz neue Möglichkeiten für Klagewellen gegen Endverbraucher ermöglichen. Findet man irgendwo eine MP3-Datei, muß man nur prüfen, wer sie ursprünglich gekauft hat. Alles ohne richterliche Anordnungen und gespeicherte ISP-Daten. Eine ganz neue Qualität der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen: Wer seine MP3-Datei an dritte weitergibt, verstößt gegen die Lizenz. Er kann über das Wasserzeichen unmittelbar ermittelt werden und darf sich warm anziehen, denn die Musikindustrie wird ihn um Haus und Hof klagen. Und das alles nur, weil er einmal eine Musikdatei in die falschen Hände gegeben hat.
Irgendwann erzähle ich einem Kollegen beim Mittagessen von diesem tollen Album des vollkommen unbekannten Künstlers, auf den ich neulich gestoßen bin. Und natürlich, und das halte ich für mein gutes Recht, drücke ich es ihm bei der nächsten Gelegenheit per USB-Stick in die Hand, damit er sich selbst einen Eindruck verschaffen kann.
In einer Welt, in der alle Musikstücke mit Wasserzeichen versehen sind, ist das schon nicht mehr so einfach: Mein Kollege müßte mir versprechen, daß er die Dateien sofort nach dem Hören löscht, und sie auch bitte, bitte, an niemanden weitergibt. Man stelle sich nur vor, sein Nachwuchs hätte Zugang zu seinem PC und würde die auf mich lizensierten Musikdateien abziehen und an seine Kumpels weitergeben. Von den Varianten “Diebstahl des Laptop”, “Verlust des USB-Stick” und “Laptop in der Werkstatt” will ich erst garnicht anfangen.
DRM hat einiges mit Vertrauen zu tun, das nicht da ist. Die Plattenindustrie vertraut ihren Kunden nicht, sondern befürchtet, von ihnen über den Tisch gezogen zu werden: Wer ein Album erstmal kopiert hat, wird es oft nicht mehr als Original nachkaufen. Davor versucht sie sich mit Digitalem Restriction Management zu schützen, mit allen unangenehmen und i.d.R. inakzeptablen Folgen, die das hat.
Noch viel unangenehmer und inakzeptabler als die Folgen des DRM wären für mich jedoch die Folgen, die es hätte, wenn gekaufte Musikstücke im großen Stil mit digitalen Wasserzeichen markiert wären. Ein gewisses Mißtrauen in der Beziehung zwischen Kunde und Lieferant ist normal, das weiß jeder, der mal auf eBay gehandelt hat. Digitale Wasserzeichen bringen das Mißtrauen jedoch sprichwörtlich auf eine neue Ebene: Auf die zwischenmenschliche Ebene der Endkunden untereinander. Ein Musikstück mit Wasserzeichen (oder gar die ganze Musiksammlung mit 20.000 Titeln) könnte man niemandem ruhigen Gewissens anvertrauen. Geraten die Dateien in die falschen Hände, ist man unversehens als böser Raubkopierer gebrandmarkt. Man könnte andere sogar gezielt diskreditieren, indem man sich Zugang zu ihren mit Wasserzeichen geschützten Musikdateien verschafft und diese in einer Tauschbörse anbietet, oder einfach nur auf USB-Sticks in der U-Bahn herumliegen läßt.
Mit DRM habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder der DRM-Anbieter schützt alle Beteiligten vor Mißbrauch meiner gekauften Titel. Oder ich knacke das DRM und bekomme frei kopierbare Titel, die mir niemand zuschreiben kann. So mache ich es derzeit.
Wasserzeichen hingegen sieht und hört (hoffentlich) man nicht. Sie sind in der runtergeladenen MP3-Datei, sie sind auf der daraus gebrannten CD, und sie sind auch noch da, wenn die CD wieder gerippt, im Radio gesendet, auf Band aufgenommen und erneut digitalisiert wird. Ein digitales Wasserzeichen wird man niemals los. Es ist sogar in 50 Jahren noch da, wenn man sich längst nicht mehr erinnern kann, aus welcher Quelle diese Datei damals in der Jugend wohl mal stammte.
Was Steve vorschwebt, ist ein von Angst, Mißtrauen und Kontrolle bestimmtes Musikgeschäft. Konsumenten sollen ihre gekauften Tracks auf jedem Gerät abspielen können. Sie sollen jedoch Angst davor haben, Dateien an ihre Kinder oder an ihre Kumpels weiterzugeben, denn dank des Wasserzeichens wird immer festgestellt werden können, wer sie in Umlauf gebracht hat.
Die Plattenbosse werfen ihm “Scheinheiligkeit” vor. Ich kann dem beim besten Willen nicht wiedersprechen.